Aktuelle Meldungen

Für Numismatiker, Sammler und Händler

09.11.2010

Dokumentation über Verstrickung des Reichsfinanzministeriums in NS-Verbrechen

Nach den Enthüllungen über die Verstrickung von deutschen Diplomaten in die Verbrechen des Nationalsozialismus, veröffentlicht in dem Buch "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik Deutschland" (München: Blessing-Verlag 2010), sind weitere Publikationen dieser Art zu erwarten. Kurz vor der Bundestagswahl 2009 hat der damalige frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) eine aus sieben Historikern bestehende Kommission eingesetzt, um die Beteiligung des Ministeriums an der Aufrüstung, der Kriegsfinanzierung sowie der Verfolgung und Ausplünderung von Juden und anderen Menschen zwischen 1933 und 1945 klären zu lassen. In einem Ende 2010 vorgestellten Zwischenbericht wird festgestellt, dass die oberste Finanzverwaltung des Reiches keineswegs eine unpolitische Fachbehörde ohne ideologische Ausrichtung war, wie es seine Mitarbeiter nach dem Ende der Hitlerherrschaft gern glauben machen wollten, sondern eine ihrer wichtigsten Säulen. Die am Berliner Wilhelmplatz in einem vornehmen Palais aus der Kaiserzeit untergebrachte Behörde lieferte den Schmierstoff, der das Regime bis zum bitteren Ende am Laufen hielt und einem Teil der Deutschen dank der massiven Ausbeutung der besetzten Länder und ihrer Bewohner so etwas wie ein normales Leben ermöglichte. Mit den Untersuchungen wird der Blick auf den Kern der NS-Diktatur gelenkt, denn das rücksichtslose Eintreiben von Steuern und Schulden, aber auch die Heranziehung von Spareinlagen, die Erhebung von Sondersteuern bei den so genannten Gemeinschaftsfremden, mit denen die jüdische Bevölkerung gemeint war, und weitere Maßnahmen hätte sie sich nicht so entfalten können, wie sie es tat.

Die bis zum Ende der NS-Herrschaft von Reichsfinanzminister Ludwig (Lutz) Graf Schwerin von Krosigk (1887-1977) geleitete Behörde begann sehr bald nach Hitlers "Machtergreifung", mit Hilfe der Finanzämter politisch unliebsame Personen sowie Emigranten zu enteignen und ihnen systematisch die Lebensgrundlage zu entziehen. Die Maßnahmen wurden in einem speziellen Judenreferat des Reichsfinanzministeriums koordiniert und überwacht. Ähnliche Dienststellen gab es auch im Auswärtigen Amt und in anderen Reichsbehörden sowie im Terrorapparat der SS und Gestapo, die allesamt an der Berliner Wilhelmstraße angesiedelt waren, woran heute die "Topographie des Terrors" erinnert. Die Forscher haben die Mechanismen untersucht, wie sich der NS-Staat die Mittel für seine Kriegspolitik beschaffte, wie die von der Wehrmacht besetzten Länder ausgebeutet wurden und welche Vermögenswerte den in die Vernichtungslager deportierten Menschen geraubt wurden. Zu erwarten sind neue Einsichten über die Art und Weise, wie die Nationalsozialisten durch Umverteilungsprozesse die so genannte Volksgemeinschaft gefestigt haben.

Inwiefern in der zu erwartenden Publikation die Münzpolitik eine Rolle spielen wird und ob sie auch auf die Gestaltung von Kurs- und Gedenkmünzen sowie von Geldscheinen eingeht, wird sich zeigen. In einem solchen Kapitel müssten Erkenntnisse über Planungen für neues Hartgeld in Kolonien stehen, die das Deutsche Reich erobert wollte, und es sollte dann auch die Frage erörtert werden, warum um 1942 eine Münze mit Hitler-Kopf durch Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk zwar in Auftrag gegeben wurde, aber nicht zu ihrer Massenprägung kam. 1949 im so genannten Wilhelmstraßen-Prozess, benannt nach der von Reichsministerien gesäumten Wilhelmstraße in Berlin, wegen der Plünderung des Eigentums deportierter Juden durch die Finanzämter und anderer Verbrechen zu zehn Jahren Haft verurteilt, wurde der Mitunterzeichner des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 und Träger des Goldenen Parteiabzeichens bereits 1951 entlassen und trat danach nur noch als Autor von Memoiren, eines Buches über "Staatsbankrott. Die Geschichte der Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1920 bis 1945" und anderer Publikationen in Erscheinung. Des Ministers Staatssekretär Fritz Reinhardt (1895-1969), der unter anderem für die Kriegsfinanzierung und die Verwaltung der Vermögenswerte zuständig war, die die SS den in den Vernichtungslagern ermordeten Juden und anderen Menschen geraubt hatten, gelang nach dem Krieg, sich entnazifizieren zu lassen, wie andere Personen aus seinem Amt und weiteren Behörden auch. Es ist davon auszugehen, dass manchen in der jungen Bundesrepublik wegen seines "Fachwissens" ein Neustart gelang, vergleichbar mit jenen Schreibtischtäter im Auswärtigen Amt, die sich das Mäntelchen der Unschuld umhängten und nach dem Motto "Mein Kampf verbrannt, Hitler nicht gekannt" als Ministerialbeamte und Botschafter weitermachten und, als sie die Altersgrenze erreichten, ehrenvoll verabschiedet wurden. Erst als sich Proteste gegen diese Praxis und auch im Todesfall gegen Nachrufe mehrten, setzte der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) gegen erhebliche Widerstände im eigenen Haus jene Historikerkommission ein, die unlängst die eingangs erwähnte Dokumentation vorlegten. Fischers Nachfolger Guido Westerwelle (FDP) hat das Buch inzwischen zur Pflichtlektüre im Auswärtigen Amt erklärt. Ob ein künftiger Finanzminister das gleiche für die Dokumentation über die Verbrechen deutscher Finanzbeamte in der NS-Zeit anordnet, wird sich hoffentlich bald zeigen. Helmut Caspar